Und hier: eine virtuelle Kirchenführung von Holger Burlage, Bosau.
St. Petri zu Bosau – eine Kirche erzählt vom Glauben
Gekürzte Nachschrift einer Kirchenführung durch Pastor i.R. Jürgen Ehlers
Willkommen in unserer Kirche. Wie alle Kirchen erzählt auch unsere Kirche, ohne dass ein Mensch in ihr redet. Deswegen mache ich es bei meiner Führung nun so, dass ich den Dingen, die wir gemeinsam sehen, meine Stimme leihe.
Wer auf unsere Kirche zukommt, sieht sofort: hier steht eine alte Kirche. Die buckligen Feldsteinwände sagen es. Manche wollen es ein wenig genauer wissen. Deswegen werde ich häufig gefragt: "Wie alt ist diese Kirche?" Wir wissen es recht genau. Sie ist 1151/1152 erbaut. Bischof Vicelin hat den Bau angeregt und die Kirche im Sommer 1152 als "St.-Petri-Kirche" geweiht. Helmold von Bosau berichtet darüber in seiner "Slawenchronik".
Eine Statue, die Bischof Vicelin darstellt, sehen wir am südlichen Pfeiler des Apsis-Bogens. Sie ist am Anfang des 16. Jahrhunderts aus Eichenholz geschnitzt. Ein Bild über der "Priesterpforte" in der Südwand des Chorraumes zeigt Bischof Vicelin, recht jugendlich aussehend. Es ist Ende des 18. oder Anfang des 19. Jahrhunderts gemalt und wurde zur 700-Jahr-Feier der Kirche 1852 ausgebessert. Von den Anfängen der christlichen Kirche in unserem Raum, dem Bistum Oldenburg, erzählt Helmold in seiner Chronik. Nach einem blutigen Aufstand 1066 waren die bisherigen Missionsbemühungen unter den Slawen zum Erliegen gekommen. 1149 wird Vicelin in Bremen zum Bischof von Oldenburg geweiht und zieht "freudig in das Land des Hungers und der Entbehrungen", schreibt Helmold. "Predigend und hungernd geht er von Ort zu Ort". In Bosau hat er zunächst unter einer Buche gelagert, "bis es ihm gelang, eine Hütte zu bauen und zugleich den Grund zu einem Gotteshaus zu legen". Nach seiner Rückkehr vom ersten Hoftag des Kaisers Barbarossa in Merseburg weiht er die Kirche. Wenige Tage später erkrankt Vicelin schwer und wird in das von ihm gegründete Kloster nach Faldera (Neumünster) gebracht, wo er am 12. Dezember 1154 stirbt.
Die Kirche hat damals noch nicht so ausgesehen, wie wir sie heute erleben. Es wird eine kleine dreischiffige Basilika gewesen sein ohne Turm im Westen, Chorraum und Apsis im Osten. Die Seitenwänden im Süden und Norden waren annähernd halb so hoch wie sie heute sind. Um 1200 baut man die Kirche um zur einschiffigen Hallenkirche. Im Westen wird ein runder Turm angebaut, im Osten der Chorraum und die Apsis als Raum für den Altar. Die Seitenwände des Kirchenschiffes werden erhöht und mit großen Fenstern versehen. Der runde Turm wird im 30jährigen Krieg zerstört, als Truppen Wallensteins die Kirche beschießen, weil sich in ihr gegnerische Truppen des dänischen Königs Christian IV verschanzt haben.
Nach dem Ende des Krieges richtet man die Kirche wieder her. Unter großen Opfern der Bevölkerung. Manche und mancher wird es verstehen, dass Menschen, die eine Katastrophe überlebt haben, dem, sie ihr Überleben verdanken, ein Zeichen ihrer neu erwachenden Lebensfreude und des Dankes setzen möchten. Der Turm wird nun nicht mehr rund, sondern viereckig aufgeführt, damit man ihm oben die schöne, geschwungene Barockhaube aufsetzen kann, die den Blick mit Schwung und Freude in den Himmel lenkt. 1663 war er fertig.
Auch das Kircheninnere wird in dieser Zeit weitgehend barock gestaltet. 1656 - acht Jahre nach Ende des 30 jährigen Krieges - wird die große Nordempore errichtet. Sie hat damals 151 Mark gekostet. Auf dem oberen Schriftband sind die Namen der Geldgeber und die von ihnen gestifteten Beträge verzeichnet . Davon hat der Zimmermann 87 Mark bekommen. Für den Rest hat der Maler Hans Welker aus Lübeck im volkstümlich naiven Stil zwanzig Bilder aus dem Leben Jesu gemalt. Das erste Bild erzählt die vertraute Weihnachtsgeschichte von der Geburt Jesu im Stall von Bethlehem. Mit dem zweiten Bild beginnt dann aber schon die letzte Lebenswoche Jesu. Jesus reitet auf einem Esel, dem Lasttier der armen Leute, nach Jerusalem ein. Die folgenden Bilder erzählen von seinem Leiden und Sterben. Szene für Szene ist es uns vor Augen gemalt. Bis Jesus schließlich am Kreuz stirbt. Die wenigen die bei ihm geblieben sind, nehmen ihn vom Kreuz ab und legen ihn ins Grab. Seine Gegner meinen, nun ist die Geschichte mit ihm zu Ende. Doch das vorletzte Bild zeigt uns: er, der ohnmächtig leiden und sterben muss, ist doch Herr über Leben und Tod. Der auferstandene Christus steht mit dem Siegeszeichen, der Osterfahne, in der Hand auf dem geöffneten Sarg zum Zeichen seines Sieges über den Tod. Wie sich bis heute jeder Sieger über den Besiegten erhebt. Jesus ist Herr über Leben und Tod. Und auch über Himmel und Erde. Wie uns das letzte Bild, das Bild seiner Himmelfahrt, vor Augen malt.
Unter den Bildern kleine Verse, wohl vom damaligen Pastor - Janus hat er geheißen - gedichtet. Er war kein großer Poet. Seine Verse sind nach dem Motto: "reim dich oder ich freß dich" zusammengerüttelt und -geschüttelt.
Es war auch nicht seine Absicht, uns ein bleibendes Zeichen seiner Dichtkunst zu hinterlassen. Er wollte vielmehr mit den Menschen, die das damals lesen konnten - und gewiss auch mit denen, die das heute lesen - darüber nachdenken, warum Jesus eigentlich so leiden und sterben musste. Er hätte doch als Sohn Gottes ganz anders in dieser Welt auftreten können und nach Meinung vieler auch sollen: Bist du Gottes Sohn, dann zeig das in machtvollen Taten. Lös´ du die Probleme, an denen sich die Menschen bisher vergeblich abgearbeitet haben. Meinetwegen mach aus Steinen Brot. Mache du alle Menschen satt. Das hat bisher noch keiner gekonnt oder gewollt. Wenn du das schaffst, dann sehen wir sofort: Du kannst mehr als jeder andere. Du kommst von Gott. Dir wollen wir glauben und folgen. Aber statt dessen sehen wir Leiden und Sterben. Was weist dich da als Gottessohn aus? Was ist da Besonderes dran. Das muss doch jeder andere Mensch auch.
Aber gerade, weil jeder Mensch das muss: in dieser Welt leben mit Angst und Not, mit Leiden und Tod, ist Jesus - als Sohn Gottes - diesen Weg auch gegangen. Damit ich in ihm den erkennen kann, der mir darin nahe ist. Der das kennt. Der mir darum ein Beistand und ein Helfer sein kann. Wie wir es unter dem Bild von seiner Kreuzigung lesen: "Jesu, dein Creutz und Todt, hilft mir aus aller angst und Noth".So ist es bei allen anderen Bildunterschriften auch gemacht. Es kommt in allen ein "Ich" vor. Ich werde also durch die Unterschrift mit hineingenommen in das Bild. Ich sehe dort nicht nur eine Geschichte, die sich vor zweitausend Jahren ereignet hat. Die ganz interessant und spannend gewesen sein mag. Aber nun ist das so lange her, dass man sie allmählich auch vergessen könnte. Nein, das gerade nicht. Ich sehe hier keine vergangene Geschichte, sondern eine Geschichte, die es mit mir zu tun hat; die um meinetwillen geschieht, mir zum Heil.
Die Kanzel ist ebenfalls nach dem 30 jährigen Krieg in unsere Kirche gekommen. Sie zeigt auf den einzelnen Feldern die vier Evangelisten links flankiert von Paulus und rechts vom Apostel Andreas. In der Mitte sehen wir Christus als "salvator mundi". Christus, der die Weltkugel in seiner Hand trägt. Fest und sicher an sich gedrückt. Wie jeder Mensch das trägt, was ihm lieb und kostbar ist; wenn er es vor dem Fallen und der Zerstörung bewahren will. So schützend trägt Jesus unsere Welt in seiner Hand, dass die Lateiner ihn "salvator mundi" nennen. Wir sagen Retter, Bewahrer, Heiland der Welt.
Auf der Kanzelbrüstung eine alte Sanduhr. Die Inschrift auf den Messingschildern weist sie als Weihnachtsgeschenk an den damaligen Pastor aus. Sie lautet: "Gott Zu Ehren, der Gemeine Zum besten, der Kirchen Zum Zierrath, Seinem Seelsorger Zu Liebe" gegeben von Asmus Beuck aus Hassendorf am 23. Dezember 1734.
Asmus hatte seinen Pastor (es war Magister Johannes Stilck) gern und wollte ihm mit dieser Gabe eine Weihnachtsfreude machen, von der nach dem Fest die ganze Gemeinde Nutzen hatte. Denn nun konnte endlich jeder - wer hatte schon eine eigene Uhr damals? - sehen: wir haben einen prima Pastor. Der predigt die richtige Zeit; nämlich vier mal eine Viertelstunde.
Eine Viertelstunde brauchte der Sand (oder die gemahlene Eierschale) in jedem der vier Gläser, um von oben nach unten durchzulaufen. Die Gläser wurden einzeln nacheinander umgedreht, bis die Predigtzeit von einer Stunde erfüllt war.
Inzwischen ist der Sand beziehungsweise die Eierschale verklumpt, so dass die Uhr nicht mehr funktioniert. Eine Reparatur ist nicht vorgesehen. Unsere Gewohnheiten haben sich, was die Länge einer Predigt betrifft, ohnehin geändert. Heute heißt es: "Lieber Pastor du gefällst uns dann, wenn du über alles predigen kannst. Aber nicht über achtzehn Minuten".
In der Mitte unserer Kirche sehen wir das große spätgotische Triumphkreuz. Es ist ein schönes und bedeutendes Kunstwerk. Man schreibt es der Werkstatt Bernt Notkes aus Lübeck zu.
Wie alle Kunstwerke in den Kirchen will es aber nicht nur Freude für unsere Augen und Schmuck für den Raum sein. Es will uns vielmehr etwas erzählen.
Dieses Kreuz will mit uns reden über Leben und Tod. Und in diesem Gespräch will es uns sagen: das Leben siegt über den Tod.
Doch zunächst sehen wir nicht viel vom Sieg des Lebens. Wir sehen qualvolles Sterben. Es ist ja eine besonders grauenvolle Art so sterben zu müssen; sich zu Tode zu hängen bis man durch das eigene Körpergewicht erstickt. Deswegen hatten die Römer diese Todesart für die Schwerverbrecher ersonnen.
Doch an diesem Kreuz stirbt kein Schwerverbrecher, sondern ein unschuldiger Mensch. Das können wir an den drei stilisierten goldenen Lilien sehen, die aus dem Haupt des Gekreuzigten herauswachsen. Lilien sind in der Zeit, in der die meisten Menschen zwar keine Schrift lesen können, aber eine umfangreiche Bilder- und Symbolsprache beherrschen, das Zeichen für die Reinheit und Unschuld eines Menschen.
Der hier am Kreuz den Verbrechertod sterben muss, ist in Wahrheit ein unschuldiger Mensch. Ja, er ist ganz und gar unschuldig. Denn es sind drei Lilien, die aus seinem Haupt herauswachsen. Und die Dreizahl ist die Zahl der Vollkommenheit. Weswegen es bis heute heißt: "aller guten Dinge sind drei".
Es ist Jesus von Nazareth, der hier stirbt, wie die Inschrift über seinem Haupt anzeigt: INRI. Pontius Pilatus ließ über den Gekreuzigten in mehreren Sprachen seine Schuld schreiben. Hier die Anfangsbuchstaben der lateinischen Version: "Jesus Nazarenus Rex Judaeorum". Jesus von Nazareth, König der Juden. Vielleicht wollte er den Sterbenden damit noch einmal verhöhnen: Seht so kümmerlich stirbt er; was für ein König!
Jesus stirbt an einem Kreuz. Sein Holz stammt natürlich von einem Baum. Den hat man gefällt. Das Holz ist ausgetrocknet. Knochentrocken ist es geworden. Totes Holz. Aber in dem Augenblick, in dem Jesus an diesem toten Holz stirbt, steigt neuer Saft, neue Kraft in dieses tote Holz, dass es wieder anfängt zu leben, zu treiben, zu wachsen. Sechsunddreißig frische grüne Blätter schießen und sprießen nach allen Seiten aus dem Kreuzesholz heraus. Zeichen dafür, dass mit dem Tod dieses Jesus neue Hoffnung, neues Leben in die Welt kommen, stärker als alle Schuld- und Todverlorenheit der Welt und der Menschen. Aus den Balken des Todes wird vor unseren Augen ein Baum des Lebens mit sechsunddreißig grünen Blättern. Sechsunddreißig das sind drei mal zwölf. Zahl für das ewige Leben.
An den vier Enden des Kreuzes, in den Kreuzblumen, sehen wir die Namen und Symbole der vier Männer, die uns von Jesus erzählen; die vier Evangelisten. Links Matthäus; sein Zeichen ist der Engel. Unten Markus, symbolisiert durch den Löwen. Rechts mit dem Zeichen des Stieres dargestellt Lukas. Oben Johannes, für die Menschen, die damals seinen Namen nicht lesen konnten, erkennbar durch den Adler. Diese vier Evangelisten sind ganz bewusst an die vier Enden des Kreuzes geschnitzt, weil uns durch die mittelalterliche Bildersprache so deutlich werden kann: was diese vier über Jesus berichten, soll sich in alle vier Himmelsrichtungen, über die ganze Welt also, ausbreiten.
Vier Engel umschweben den Gekreuzigten und fangen sein Blut auf. Ein verbreitetes Bild in der mittelalterlichen Kunst. Bei den freischwebenden Triumphkreuzen begegnet es uns allerdings selten. Einer will einmal beobachtet haben, dass es das nur in Bosau gibt. "Einmalig in der ganzen Welt" steht in einem alten Kirchenführer. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Ich habe noch nicht so viel von der Welt gesehen. Ich halte das auch nicht für so wichtig. Wer etwas Einmaliges sucht, sollte sich an jedem Morgen beim Blick in den Spiegel so begrüßen: "Jetzt siehst du etwas Einmaliges in der Welt". Wer lieber auf einen anderen Menschen schaut, kann zu ihm sagen: "Du bist einmalig in der ganzen Welt". Damit hätten wir etwas begriffen von dem großen Geheimnis, das Gott in jede und jeden von uns hineingelegt hat. Nicht billige Massenware sind wir, nicht nur drei Sorten von Menschen: die guten und die bösen und die, die immer so mittendrin sind. Nein, jede und jeder von uns ist ein einmaliger Mensch mit seinen Gaben und Aufgaben für sich, unsere Welt und Gott.
Dem mittelalterlichen Menschen ist das mit der Einmaligkeit wohl auch gar nicht so wichtig gewesen. Ich halte mich mehr daran, dass er vier Engel geschnitzt hat und damit sagen konnte: hier siehst du etwas, was für die ganze Welt gilt, für alle Menschen und alle Zeiten. Denn die Vierzahl war im Mittelalter die Zahl für das Weltganze. Vier Himmelsrichtungen, vier Jahreszeiten, vier Wasserströme, die vom Paradies ausgehen und die ganze Welt fruchtbar machen, vier Elemente - Erde, Feuer, Luft und Wasser -, aus denen sich für den mittelalterlich denkenden Menschen das Weltganze zusammensetzt.
Und was gibt es nun zu allen Zeiten und auf der ganzen Welt? - Blutvergießen. Deswegen diese dicken Blutstrahlen, die viele, die das Kreuz mit Sensibilität betrachten, nicht anschauen mögen und können. Denn sie erinnern uns ja an die Ströme von Blut in dieser Welt. Und wir fragen: warum ist das bloß so, dass ein Mensch das Blut des anderen vergießt?
An diesem Kreuz zunächst Erinnerung an den ersten Mord in dieser Welt. Wann und wo es mit Mord und Totschlag angefangen hat, weiß natürlich keiner. Unser Glaubensbuch, die Bibel, denkt über die Frage, warum ein Mensch das Blut des anderen vergießt, in einer Geschichte nach, von der wir alle etwas kennen, weil es eine Familiengeschichte ist.
Ganz am Anfang der Bibel steht sie. Sie sagt: Stell dir vor, am Anfang waren zwei Menschen. "Adam" heißt der eine. Er muss so heißen, weil sein Name "Erde" bedeutet. Von Erde bist du genommen und Erde sollst du wieder werden. Du, Mensch, bist Teil dieser Welt. Und die andere heißt, weil sie Kinder gebären kann, "Eva", die "Gebärerin".
Diese beiden haben Kinder miteinander. Es ist das erste Brüderpaar. Kain und Abel sind ihre Namen. Und diese ersten Brüder geraten nun so aneinander, werden so neidisch und hasserfüllt gegeneinander, dass sie nicht voneinander loskommen, ohne dass einer den anderen erschlägt.
Die biblische Geschichte will uns keinen Skandal aus urgrauer Zeit erzählen, auch nichts von einer Familie, in der es aus dem Ruder gelaufen ist, sondern sie will mit uns darüber nachdenken, warum ein Mensch das Blut des anderen vergießt. Sie sagt: wo Kain den Abel erschlägt, wo das erste Mal Blut fließt in dieser Welt, da fließt Blut, das nach Rache schreit. Und darum hören Mord und Totschlag nicht auf, weil alles Blut, das vergossen wird, nach Rache schreit. So wie wir es bis auf diesen Tag erleben: einer wird totgeschlagen durch die Stadt getragen, und eine Menge läuft hinterher und ruft: Rache! Jetzt geht es euch an den Kragen!
Alles Blut, das vergossen wird , schreit nach Rache. Nur an diesem Kreuz fließt Blut, das die Versöhnung bringt. Als Jesus starb, hat er nicht Rache geschrien. Im Gegenteil. Er hat sie seinen Jüngern verboten. Dem Petrus, der bei der Festnahme Jesu einem der Soldaten ein Ohr abschlägt - auf einem Emporenbild ist das dargestellt - verwehrt Jesus das und sagt: "Steck dein Schwert in die Scheide". Und zum Zeichen, wie es unter uns zugehen soll, heilt er dem Soldaten sein Ohr. Für die, die ihn peinigen, quälen und töten, betet Jesus: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun".
Darum fangen die Engel sein Blut auf. In goldenen Kelchen. Denn schon das kleinste Kind weiß: Gold ist etwas ganz Kostbares.
Die Engel laden uns ein: erinnert euch an Jesus, redet, handelt, lebt wie er. Kommt zusammen, eßt Brot und trinkt Wein in Erinnerung an ihn; eßt und trinkt es als seinen Leib und sein Blut, dann feiert ihr im Abendmahl ein Mahl, das Menschen zusammen bringt, sie versöhnt und Frieden mit Gott schenkt.
Dieses Mahl feiern wir in unseren Kirchen an einem Tisch, dem Altar. Weil es sich um ein besonderes Mahl handelt, ist der Altar auch immer besonders geschmückt. Hier in Bosau mit einem Schnitzbild aus Eichenholz.
Es ist das zweitälteste in Schleswig-Holstein erhalten gebliebene Altarretabel. Um 1360 hat es ein Künstler geschaffen, dessen Namen wir nicht kennen. Man kann das Retabel zuklappen, wie einen Schrank. Auf den Rückseiten der Flügel sind Gemälde. Sie sind sichtbar, wenn wir von Aschermittwoch bis zur Feier der Osternacht den Altar geschlossen halten.
Jetzt sehen wir auf dem Altarbild viele geschnitzte Figuren. Sie haben eine gemeinsame Mitte. In der Mitte ist wieder Jesus dargestellt. Nun aber nicht mehr der leidende und sterbende, wie wir ihn im Kirchenschiff vor Augen haben, sondern der auferstandene Christus.
Er hat den Tod besiegt und ist als Herr der Welt dargestellt.
Nach mittelalterlichem Verständnis muss ein Herr über die Welt auf einem Thron sitzen. Wie ein König oder Kaiser. Christus thront auf einem Regenbogen. Wieder ein altes religiöses Symbol.
Einen Regenbogen kennen wir alle. Wir haben auch gelernt, wie er entsteht. Doch wenn wir einen Regenbogen am Himmel sehen, der sich über die Landschaft wölbt, dann haben wir nicht zuerst unser Wissen aus dem Physikbuch im Kopf. Dann freuen wir uns an den leuchtenden Farben. Wir sehen wie das Dunkel weicht und das Licht sich Bahn bricht. Wir sehen ein Bild des Friedens. Wir sind den Menschen nahe, die damals gesagt haben: diesen Bogen spannt Gott wie eine Brücke vom Himmel bis zur Erde, von sich zu uns, und er verspricht nach der katastrophalen Flut: es soll nicht aufhören Saat und Ernte, Sommer und Winter, Frost und Hitze, Tag und Nacht.
Auf diesem Bogen der Versöhnung sitzt Christus als Herr der Welt und hält allen, die auf ihn schauen seine zum Segen geöffneten Hände entgegen. Schaut her, sagen sie, ich habe nichts gegen euch in meinen Händen.
Christus sitzt in einem mandelförmig gebogenen Strahlenkranz, einer Mandorla. Eine Mandel ist eine süße, wohlschmeckende Frucht. Aber sie steckt verborgen in einer harten Schale.
Auch für uns ist es in einer "harten Schale" verborgen, dass Christus der Herr der Welt ist. Wir leben ja in einer Welt, in der so vieles und so viele die Herrschaft über die Welt beanspruchen. Was fürchten wir nicht alles, dass es die Herrschaft haben könnte: Geld, Gier, Geiz, Hunger, Krankheit, Krieg, Not und Tod. Eine Kette, die endlos lang zu sein scheint. Und wenn sie nicht lang genug ist, stehen da und dort Menschen auf, schwingen drohendes Zeug über unseren Köpfen, und rufen: ich bin der Herr der Welt.
Da dauert es lange, bis wir uns dahin "durchgeknackt" haben: so ist es auf dieser Welt: da tobt sich allerhand aus und Menschen leiden darunter. Aber die Herrschaft hat das alles nicht. Denn die Herrschaft hat allein, der, der den Tod besiegt hat. Hat allein Christus.
Wer sich dahin "durchgeknackt" hat, der sieht dann nicht mehr drohende Fäuste und Menschen vernichtende Gewalt, sondern Hände, die zum Segen geöffnet sind. Hände, die sagen wollen: "Friede sei mit dir".
Damit möglichst alle Menschen diesen Frieden erfahren, stehen zwei Menschen mit bittend ausgestreckten Händen neben Christus. Maria, seine Mutter und Johannes, der Jesus getauft hat. Sie waren Jesus im Leben nahe und sind deshalb dem Weltenherrscher an die Seite gestellt, dass sie ihn bitten: lass alle Menschen deinen Frieden erfahren.
Neben ihnen sind links und rechts jeweils sechs Apostel aufgereiht. Alle haben sie irgend etwas in der Hand, damit die Menschen sie an diesen Attributen erkennen können.
Unten auf den Flügeln des Altarbildes sind jeweils fünf alttestamentliche Propheten dargestellt, die wir an ihren Bärten und den Schriftrollen in ihren Händen erkennen. Die Bibelstellen, die früher darauf geschrieben waren, sind mit der gesamten Bemalung des Altars bei der letzten Restaurierung um 1965 abgenommen.
Im Mittelteil unten sehen wir zehn Frauen. Links fünf Frauen mit fröhlichen Gesichtern, Kronen auf dem Kopf und brennenden Lampen in der Hand. Rechts fünf Frauen, die traurig zusammengesunken sind und auf ihre erloschenen Funzeln schauen. Wir werden erinnert an ein Gleichnis, das Jesus erzählt vom Ende der Welt. Wie wird es da sein? Absturz ins Nichts? Oder Auflösung ins Chaos?
Jesus sagt: Einladung zu einem Fest! So schön wie eine Hochzeit. Zehn Jungfrauen gehen dem Bräutigam entgegen. Als er später kommt als erwartet und die Nacht anbricht, stellt sich heraus: fünf sind klug, fünf töricht. Die törichten haben kein Öl für ihre Lampen mehr. Die Lampen sind erloschen und sie selbst ausgeschlossen von der Hochzeit und Festfreude.
Dieses Bild auf dem Altar möchte uns einladen, dass wir bei uns das Licht des Glaubens brennend halten.
Der Taufstein steht jetzt hier vorne im Chorraum. Dieses wuchtige Becken aus Granit macht den Eindruck, als ob es schon immer hier gestanden habe. Es hat aber eine ganz bewegte Geschichte hinter sich.
Nach allem, was wir vermuten können, ist es die Tauffünte, die schon bei den ersten Taufen in Bosau im Gebrauch war. Damals, vor dem Bau der Kirche, noch im Freien. Als die Kirche fertig war, kam sie an den Eingang. Das machte man damals so. Die Menschen sollten immer wieder an ihr vorbeigehen und sich dabei an ihre Taufe erinnern. Es tut uns ja bisweilen gut, wenn wir uns erinnern, dass wir getauft sind und das Versprechen Gottes haben: ich kenne dich; ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein. Du bist mir nicht gleichgültig. Und Jesus verspricht uns in der Taufe. Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.
Als der Turm einstürzte, ist das Taufbecken - der Fuß war damals wesentlich höher - beschädigt und man hat es lange aufgegeben. Um 1960 ist es wieder in die Kirche gekommen und erneut in Gebrauch genommen.
Die beiden Logen im Chorraum stammen aus der Zeit, in der die Familien in der Kirche ihre eigenen Sitzplätze hatten. Wer es sich damals leisten konnte, machte sich um die Sitzbank herum so einen Kasten, in dem man sich es im Winter ein wenig warm machen konnte. Die Kirchen wurden nicht beheizt. Wer nicht allzusehr frieren wollte, zog sich warm an, steckte sich warme Steine in die Taschen und brachte sich ein kleines Becken mit Glut von Zuhause mit. Der Kasten um die Sitzbank herum sorgte dann dafür, dass die Wärme in der Nähe blieb und nicht zu schnell in den großen Raum entwich.
So viel sollte uns die Kirche während der heutigen Führung erzählen. Verweilen Sie gern noch hier und schauen sich weiter um. Manches wird dann anfangen zu Ihnen zu sprechen. Vielleicht sogar ganz persönlich.
Es ist mit einer alten Kirche ja wie mit einem alten Menschen: je älter man wird, desto mehr hat man zu erzählen.
Das Schöne an den Erzählungen der Alten ist, dass das ganze Leben darin vorkommt. Alles, was Menschen gern mitbringen, was ihr Leben hell und schön macht, aber auch das, was sie mit sich herumschleppen müssen, haben sie - nun schon 850 Jahre - hierher mitgebracht, hier bedacht und dargestellt, und es ist zum Bild für uns geworden, das uns von ihrem Leben, ihren Erfahrungen und ihrem Glauben erzählen und zu ihrem Vertrauen auf Gott einladen will. Ich hoffe, Sie haben entdeckt, wie viel Glaube und Gottvertrauen in allen Kunstwerken liegen. Lassen Sie sich davon ansprechen und von dem, der in diesem Raum uns Menschen begegnen will, Gott.
Bevor Sie aus unserer Kirche gehen, lassen Sie Ihren letzten Blick auf den Altar fallen. Schauen Sie auf die segnenden Hände des Christus und nehmen Sie seinen Gruß mit sich auf den Weg dieses Tages und auf alle Ihre Wege: Friede sei mit dir. Wenn Sie diesen Eindruck von hier mitnehmen, dann bekommen Sie Kraft für Ihren Alltag, Ihre Pflicht, Ihre Sorgen, Ihre Freude, für Ihr Leben.